Was ist „Kingdoms Forlorn“?

Lange ist’s her, seit ich dieses Format zuletzt gebracht habe. Derzeit gibt es aber wieder einen interessanten Kickstarter, der ein bisschen mehr Liebe verdient hat. Das Brettspiel Kingdoms Forlorn läuft zum jetzigen Zeitpunkt seit einer Woche und hat noch einiges an Potential zu entfalten. Das Spiel stammt von „Into the Unknown“, den Schöpfern von Aeon Trespass, einem storylastigen Bossbattler, welcher das Vorbild Kingdom Death: Monster aufgreift und weiterentwickelt.

Worum geht es?

Vor langer Zeit gelangten ein paar große Königreiche zu unvergleichlichem Ruhm. Sie erblühten, doch ihr Aufschwung hatte seinen Preis. Die Menschen begingen Sünden und schreckliche Flüche befielen die Königreiche: Im gierigen Reich wurde alles zu Stein, das Reich, welches sich die Schöpfung selbst untertan machen wollte, versank in der Erde aus der alles erstand, das florierende Reich der Intrigen verwandelte sich in einem Wald aus Blumen und Pilzen. Und dann zog ein undurchdringbarer Nebel auf und verbarg die Sünde. Die Kingdoms Forlorn gerieten in Vergessenheit. Neue Königreiche entstanden, das Leben ging weiter. Bis sich eines Tages der Nebel legte…

Die Spieler schlüpfen in die Rollen von Rittern, welche aus unterschiedlichsten Gründen die Kingdoms Forlorn aufsuchen. Einer soll eine entführte Prinzessin retten, einer sucht einen flüchtigen Informanten, wieder einer will die mächtigsten Monster dort erschlagen und verspeisen. Jeder Ritter hat dabei eine ganz persönliche Geschichte, die sich hin und wieder mit der eines anderen überkreuzt. Am Ende dieser persönlichen Geschichte können die Ritter zudem die Königreiche weiter untersuchen, um mehr über die Flüche und den Nebel herauszufinden.

Wie funktioniert das Spiel?

Das Spiel kann von 1-5 Personen gespielt werden. Vorzugsweise steuert jeder Spieler einen Ritter. Jeder Ritter hat ein eigenes Kartendeck, welches er durch Erfahrung, Story-Entscheidungen und Siege beständig erweitern und verändern kann. Diese Karten sind doppelseitig, da sie in den zwei Phasen des Spiels benutzt werden können. Eine Seite ist für die Delve-Phase gedacht, die andere für den Kampf. Nutzt man eine Karte im Delve, steht sie für den Kampf nicht mehr zur Verfügung, man muss also gut entscheiden, wann man welche Karte einsetzen möchte.

Man beginnt mit der Delve-Phase. Hierbei deckt man nacheinander Geländekarten auf wie in einem Dungeon und sammelt dabei Hinweismarker, die neue Abschnitte in der persönlichen Geschichte der Ritter freischalten, welche wiederum mehrere Entscheidungen haben können, die das weitere Geschehen beeinflussen können. Nachdem ein Geländeteil aufgedeckt wurde, wird zusätzlich eine von 8 Eventkarten gezogen, welche ein allgemeines Ereignis beschreiben, selten auch ein auf einen Ritter zugeschnittenes. Diese Ereignisse können gute, neutrale oder negative Auswirkungen haben, manchmal findet man neue Gegenstände, manchmal steigt aber auch die Gefahr, der man ausgesetzt ist.

Während der Delve-Phase können sich zwei wichtige, allgemeine Werte verändern: Die Gefahrenstufe – also ob viele Feinde auf die Gruppe aufmerksam werden – und der Fluch. Erreicht einer der beiden Werte sein Maximum, wird es für die Ritter zu brenzlig und sie müssen ihre Mission abbrechen.

Nachdem die 8 Ereigniskarten abgehandelt wurden, kommt es zu einem Kampf, meistens gegen eine Gegnerhorde. Ziel ist es, eine bestimmte Anzahl von Gegnern auszuschalten, dann gewinnt man. Doch Vorsicht ist geboten: Wann immer ein Gegner besiegt wird, wird ein anderer dafür stärker. Und auch, wenn es auf den ersten Blick so scheint: Nicht alle Gegner einer solchen Gruppe sind gleich. Kämpft man gegen 5 Skelette, so kann eines davon magisch begabt sein, ein anderes könnte ein Heiler sein, ein anderes ein besonders fähiger Krieger und wieder eines besonders gebrechlich. Dies sieht man den Gegnern jedoch auf den ersten Blick nicht an, sodass jeder Kampf neue Überraschungen und Herausforderungen bieten kann.

Nach diesem ersten Kampf beginnt eine neue Delve-Phase. Dieses Mal jedoch unter Zeitdruck: Die Ritter müssen nämlich unter den aufdeckbaren Kartenteilen oder im Ereignisdeck ihr eigentliches Ziel, das Bossmonster, finden. Ist dies geschafft, kommt es zum finalen Showdown. Je nachdem, welche Siegesbedingungen jeder Ritter erfüllt hat, geht es im Anschluss in seiner persönlichen Geschichte anders weiter. Hat er die Mission geschafft, ist sie gescheitert oder gibt es zumindest einen Teilerfolg. Questbelohnungen wie neue Karten oder Gegenstände werden ausgeteilt. Sollte ein Ritter im Kampf sterben, wird er wiedergeboren. Die genauen Hintergründe hierzu kann man ebenfalls im Spiel erforschen und jeder Tod hat Auswirkungen auf den Spielverlauf und die Umgebung. Manche Events werden beispielsweise erst freigeschaltet, wenn mindestens ein Ritter einmal gestorben ist.

Nach Bosskampf und Story können die Ritter in einen der vielen Außenposten zurückkehren, um neue Gegenstände zu kaufen oder die Hilfe von NSCs anzuwerben, welche ihnen Vorteile bringen können. Doch Vorsicht, es gibt auch Verräter, welche den Dämonen der Kingdoms Forlorn dienen…

Die Kämpfe werden übrigens mit Karten und Würfeln bestritten, jeder Ritter hat aber auch Fähigkeiten, welche Bonustokens in einen gemeinsamen Pool geben, sodass die Ritter, die später am Zug sind, Vorteile erhalten: Sie können stärker zuschlagen, werden treffsicherer oder können Angriffen besser ausweichen, etc. Sollte man mit weniger als 4 Rittern spielen – manch einer möchte sich vielleicht nur auf einen konzentrieren, weil er keine Spielgruppe hat – werden die restlichen Plätze mit Knappen aufgefüllt, welche automatisiert über ein eigenes Kartendeck gesteuert werden.

Soviel zum Grundprinzip. Dazu kommen durch Stretchgoals und tägliche Unlocks noch einige weitere, kleinere Mechaniken. So kann man beispielsweise Nebenquests annehmen, durch die man die Tugenden einzelner Heiliger kanalisiert. Man erhält eine Einschränkung (z.B. keine Rerolls, nicht aus dem Hinterhalt angreifen, usw.), wird dafür aber mit jeder Wunde, die man erhält, tugendhafter. Hat man eine bestimmte Anzahl an Wunden erlitten, kann man die Kraft des Heiligen bündeln und eine besonders starke Attacke ausführen, danach verliert man die Tugendkarte.

Desweiteren gibt es Prinzessinnen, die sich gegen die Könige gestellt haben, welche den Verfall der Kingdoms Forlorn verursacht haben. Hilft man ihnen, begleiten sie die Ritter und sorgen für Boni in unterschiedlichen Situationen. Daneben gibt es Gegner, die die Ritter über die Delve-Karte verfolgen oder ihnen auflauern. Und das ist nur ein grober Überblick. Dazu kommen noch richtige Mini-Dungeons oder Spezial-Events, wo man beispielsweise vor einem Drachen über eine mit Gegnern gespickte Brücke fliehen muss. Und es wird vermutlich noch einiges mehr dazukommen.

Was bekommt man für sein Geld?

Das Grundspiel kostet 139 Euro und umfasst derzeit 2 Königreiche. Das erste ist das versteinerte Fürstentum, zu dem eine Gegnerhorde, 1 Vasall, 1 König, 1 Prinzessin, 1 Dämon und 1 Drache gehören. Dazu kommt das versunkene Königreich, welches derzeit eine Gegnerhorde, 1 Vasall, 1 Prinzessin und 1 König umfasst. Dämon und Drache werden vermutlich im weiteren Verlauf über Stretchgoals freigeschaltet. Außerdem gibt es derzeit mehrere Dungeons, 5 Ritter, 3 Heilige, 2 wandernde Gegnerhorden und 1 verfolgendes Monster im Core. Neben Würfeln, Karten, Tokens, etc. natürlich.

Die Einzelmonster, Prinzessinen, Ritter und Heiligen sind alle als Miniaturen enthalten. Diese müssen nicht selbst zusammengebaut werden! Die Gegnerhorden sind derzeit noch als Standees, sollen aber zu Miniaturen aufgewertet werden, wenn 1 Mil. Euro erreicht werden.

Die erste Erweiterung heißt „Ten Thousand Succulent Fears“ und kostet 82 Euro. Wie das Core auch wird sie im Laufe der KS-Kampagne durch Stretchgoals erweitert. Sie erweitert die beiden Königreiche aus dem Core um zwei sogenannte Sub-Königreiche, quasi Bereiche eines Gebietes mit speziellerem Fokus. Da das versteinerte Reich beispielsweise von Erdbeben geplagt ist, kann man in dieser Erweiterung in einen verschütteten Teil hinabsteigen, der das Vorankommen durch enge Passagen und die Gefahr des Verschüttet-Werdens erschwert. In diesem neuen Abschnitt gibt es bisher 1 neue Gegnerhorde, 2 neue Vasallen und einen Drachen. Im sumpfigen, versunkenen Reich dagegen findet man alte Ruinen der lange untergegangenen Zivilisation der ersten Menschen. Für diesen Teil des Landes gibt es derzeit nur 1 neuen Vasallen als Gegner, vermutlich werden aber noch weitere Gegner freigeschaltet. Dazu kommt ein neuer Ritter, dessen Geschichte an die beiden Königreiche geknüpft ist.

Die zweite Erweiterung ist die „Barony of Bountiful Harvest„. Hier intrigierten einst zwei Fraktionen gegeneinander, bis sie von dem blühenden Fluch heimgesucht wurden. Die eine Fraktion sind nun Blumenwesen, die andere wurden zu Pilzwesen. Und sie bekämpfen sich noch immer. Die Erweiterung umfasst ein komplettes Königreich inklusive Sub-Königreich und Dungeon. Sie umfasst 1 Ritter, 2 Gegnerhorden, 2 Vasallen, 1 König und 1 Dämon. Ein Drache hierfür wurde bereits angekündigt, wird aber vermutlich erst gegen Ende der KS-Kampagne enthüllt. Er sieht jedoch großartig aus und ist vermutlich die gefragteste Miniatur dieses Kickstarters.

Für 29 Euro kann man außerdem einen weiteren Ritter dazukaufen, welcher, wie alle Ritter, eine persönliche Geschichte mitbringt, die rund 20 Stunden Spielzeit umfassen soll.

Zwei weitere Königreiche sind angekündigt, es ist jedoch unklar, ob diese noch in diesem Kickstarter verfügbar sein werden oder erst später kommen sollen, wie die sagenumwobene „Sins of Hercules“-Kampagne für Aeon Trespass. Das sind das Kingdom of Blood und das Gloom Archipelago.

Fazit

Das Spiel hat viele Anlehnungen an Dark Souls und Demon Souls, bleibt aber trotzdem sein eigenes Setting. Düster verdrehte, europäische Mythen gewürzt mit subtilem Humor erwarten den Spieler – und bis auf ein paar Kraftausdrücke bleibt es dabei auch jugendfrei. Lange Geschichten, über 20 Stunden pro Ritter und dann noch einmal mehr im Post-Game, sorgen für eine dichte Atmosphäre. Genau das richtige für Leute, die gerne viel lesen und viel entdecken wollen. Das Lesen könnte aber auch ein Problem werden, da das Spiel derzeit nur auf Englisch herausgegeben wird. Into the Unknown befindet sich zwar in Verhandlungen mit möglichen Übersetzern, eine Zusammenarbeit ist aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewiss. Eventuell wird es auch nur übersetzte PDFs geben, keine komplett editierten Spiele – aber auch das wäre schon hilfreich. Auch über eine Vorlese-App wird derzeit gesprochen, was zumindest die Stimmbänder der Spieler schonen dürfte, sollte diese zustande kommen.

Und auch, wenn Into the Unknown auf Kommunikation setzt, präsent ist und auf viele Ideen und Anregungen eingeht, so wirkt der Aufbau des KS doch recht chaotisch. Es ist alles ein wenig unübersichtlich aufgebaut, man findet sich schwer auf der Startseite zurecht, obwohl sich Mühe gegeben wird, alle neuen Informationen zu verlinken. Mechanik-Spotlights kommen häppchenweise, Tag für Tag ein anderes, sodass man zwar immer etwas Neues zu entdecken hat, aber eben nicht das Gefühl hat, das Spiel wirklich zu kennen oder zu verstehen. Vor allem, da es so viele Subsysteme gibt: Dungeons, Heilige, Kurzshowdowns, Hinterhalte, etc. etc. Das Spiel wirkt dadurch leider ein wenig überladen.

Die Entwickler setzen in diesem Kickstarter auf ein langsames Offenlegen von Komponenten und machen tägliche Spotlights über einzelne Mechaniken. Sie wollen so vermutlich den Hype am Laufen halten und jeden Tag den Unterstützern ein neues „Wow“ entlocken. Leider ist diese Strategie nicht so gut angekommen und die derzeit enthüllten Königreiche wirken ein wenig wie ein Schweizer Käse. Die Leute trauen sich nicht, Geld in scheinbar halbfertige Erweiterungen zu stecken, wodurch wiederum die Stretchgoals, die diese Löcher füllen sollten, nicht erreicht werden. Dabei ist der Inhalt da, er muss nur noch freigeschaltet werden! Im Intro-Video sieht man viele großartige Miniaturen, die bereits fertiggestellt sind und nur darauf warten, ihren rechtmäßigen Platz in einem der Königreiche einzunehmen. Leider fehlt es derzeit an willigen Unterstützern. Viele Fans wollen noch auf die Auslieferung von Aeon Trespass warten und dann im Pledge Manager von Kingdoms Forlorn aufstocken, falls ihnen das Spiel gefällt.

Dadurch wirkt Kingdoms Forlorn derzeit noch unfertig, an vielen Stellen angefangen und nicht vervollständigt, aber das wird sich mit größer Wahrscheinlichkeit noch legen. Die Entwickler haben schon in ihrem ersten Projekt keine halben Sachen gemacht und sogar noch zusätzlichen Content zugegeben. Man muss also nicht fürchten, dass Core oder Erweiterungen unvollständig ankommen. Vielmehr braucht die Kampagne jetzt, wo sie aufgrund dieser unglücklichen Kombination stagniert, neue Fans, die frischen Wind in die Segel bringen.

Und das verdient Into the Unknown meiner Meinung nach. Man sieht dem Spiel an, wie viel Liebe fürs Detail und wie viel Arbeit sie bereits hineingesteckt haben. Die Welt fügt sich insgesamt gut zusammen, das Zusammenspiel von Helden, Gegnern und neutralen Parteien ist durchdacht und plausibel. Die Miniaturen sind detailreich gestaltet und passen nahtlos in ihr jeweiliges Setting. Auch die vielen Variationen, die das Spiel für manche aufgebläht und überladen wirken lassen, können für viele Spieler ein wahrer Schatz sein, da sie so viel Wiederspielwert bieten. Dazu kommt, dass man eine Kampagne nicht komplett mit derselben Gruppe spielen muss. Man kann eine Runde alleine spielen, dann kommen zwei Freunde dazu, dann mal jemand anders. Das System passt sich daran an und niemand verpasst irgendetwas.

Schaut es euch gerne an, meine lieben RPGler, denn dieses storylastige Spiel könnte etwas für euch sein. Ja, es ist teuer, aber es bietet auch extrem viel Inhalt. Allein mit dem Core habt ihr schon um die 100 Spielstunden zum Austoben. Und wer weiß, das noch alles dazukommt.

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